
Abnehmspritzen wie Ozempic oder Wegovy versprechen schnelle Erfolge – doch nur mit Lebensstiländerung. Gegen Zucker und Alkohol helfen sie nicht. Ärzte aus dem Raum Mühldorf sagen, wo die Chancen liegen und warum Medikamente keine Lifestyle-Produkte sind.
Mühldorf/Ampfing —„In der Spritze liegt viel Hoffnung“, sagt Prof. Dr. Stefan Schopf vom Innklinikum Altötting Mühldorf. Er leitet das Adipositaszentrum und ist Chefarzt für Allgemein-, Viszeral-, Endokrine Chirurgie und Thoraxchirurgie am Mühldorfer Krankenhaus. Er vergleicht die Adipositas-Krankheit mit einer Pandemie. Hier pflichtet ihm der Diabetologe Stefan Feige aus Ampfing bei. Er weiß: „Der Leidensweg dieser Patienten ist oft sehr lange.“
Ohne Umstellung der Essgewohnheit kein Erfolg
Prof. Schopf ergänzt, „die Erkrankung hat immense Folgen für die Gesundheit der Betroffenen und das Gesundheitssystem. Eine Prävention oder frühzeitige Behandlung der Adipositas-Krankheit wäre ein Segen“. Es gebe eine Reihe von Abnehmspritzen, wie Wegovy, Ozempic oder Mounjaro. Sie haben gemeinsam, dass sie ursprünglich aus der Behandlung des Diabetes mellitus Typ 2 kommen. Hat ein Patient auch noch Adipositas, ist dieses Medikament passend.
„Der Gewichtsverlust ist eine Nebenwirkung und die gibt es nur, wenn man sie mit einer Umstellung der Lebensgewohnheiten kombiniert. Ändert man seine Lebensgewohnheiten nicht, treten eher die Nebenwirkungen wie Völlegefühl, Übelkeit oder sogar Erbrechen in den Vordergrund.“
Bauchspeicheldrüsenentzündung und Entzündung der Sehnerven mit der Gefahr der Erblindung seien weitere seltene Nebenwirkungen. „Das Abnehmen geht mit Spritze viel leichter und die Umstellung auf wenig und gesundes Essen wird einfacher“, so der Experte.
Abnehmspritzen sind moderne Medikamente. „Althergebrachte sind zwar jahrelang erprobt, aber in großen Studien enttäuschend in ihrer Langzeit-Wirkung. Neuere Präparate entfalten rasch eine gute Wirkung, müssen aber zur Behandlung der Adipositas-Krankheit lebenslang verabreicht werden und es fehlen Langzeitstudien“, erklärt Prof. Schopf.
Er spricht die Möglichkeit zur Operation an. „Die ist tatsächlich im Vergleich zu ihrem Ruf recht unkompliziert und nur mit einem geringen gesundheitlichen Risiko behaftet. Sie ist der Goldstandard zur dauerhaften Behandlung der Adipositas und wird von der Krankenkasse bezahlt.“
Die Kosten für die Abnehmspritze, die sich im Jahr auf rund 1000 Euro belaufen können, übernimmt die Kasse nur, wenn Typ 2-Diabetes-Patienten damit behandelt werden. „Wenn die Mittel nur zur Gewichtsreduktion eingesetzt werden, besteht kein Anspruch auf Erstattung“, sagt Schopf. In Härtefällen – etwa wenn ein Patient vor einer geplanten OP viel Gewicht verlieren muss _ gebe es Einzelfallentscheidungen.

Nicht wenige Menschen nutzen die Spritze als Lifestyle-Produkt. Sie wollen gerne gut essen, Alkohol trinken und schlank sein. Statt auf Sport und Ernährungsumstellung zu setzen, spritzen sie sich die Kilos runter. Dazu hat Experte Prof. Schopf eine klare Haltung, denn die „Spritze ist ein Medikament mit Wirkung und Nebenwirkungen“.
Spritze gegen Zucker und Alkohol chancenlos
Die Wirkung entfalte sich über eine früher einsetzende Sättigung. Wenn die sich zeige, müsse man mit dem Essen aufhören, sonst werde einem übel. „Den Teller nicht leer zu essen oder nach wenigen Bissen das Essen beim Wirt zurückzugeben, sind wir nicht gewohnt“, so Schopf. „Das größte Problem ist der Konsum von alkohol- oder zuckerhaltigen Getränken. Hier ist die Spritze chancenlos. Wer nicht auf Feierabendbier, Cola, Fruchtsäfte und süße Smoothies verzichten will, kann sich das Geld sparen.“

In Hollywood sieht man unter den Stars gerade viele „Ozempic Faces“, also ausgezehrte Gesichter nach schnellem Gewichtsverlust – wie bei der ohnehin schlanken Nicole Kidman. Hier sagt Prof. Schopf: „Medikamente sind keine Lifestyle-Produkte.“
In Sozialen Netzwerken trendet der Hashtag #SkinnyTok, dem gefährlichen Magerwahn wird wieder gehuldigt. „Soziale Medien sind zu Meinungsbildnern für Kinder und Jugendlichen geworden und Erwachsene können sich auch nicht entziehen.“ Er rät dazu, sich seinen Body-Mass-Index (BMI) auszurechnen. Dazu teilt man das Körpergewicht in Kilogramm durch die Körpergröße in Metern zum Quadrat.
Wenn man im Normbereich bleibe, sei das in Ordnung. „Darüber wie darunter fangen die Probleme mit der Gesundheit an und die Lebenserwartung verkürzt sich.“
Schopf hält auch nichts davon, dass Menschen, die sich beim Abnehmen schwertun, obwohl sie auf die Ernährung und Bewegung achten, zur Spritze greifen. Auch nicht, wenn zum Beispiel Schilddrüsenerkrankungen dahinter stecken, oder etwa Psychopharmaka und Schmerzmittel zur ungewollten Zunahme geführt haben?
„Sofern keine Adipositas (beginnt bei BMI 30 kg/m2) vorliegt, kann man einige Kilos nach Behandlung möglicher Ursachen der Gewichtszunahme wie etwa der korrekten Einstellung der Schilddrüsen- oder Nebennierenfunktion durch geeignete Lebensstiländerung konventionell verlieren. Bei Adipositas ist dies nicht mehr möglich. Hier kann der Patient nichts für die ungewollte Gewichtszunahme“, so Schopf. Er warnt: „Nehmen sie kein Medikament, wenn es dafür keine Indikation gibt.“
Es geht um Lebensqualität
Wenn es um abnehmwillige Menschen ohne Adipositas geht, verfolgt Diabetologe Stefan Feige einen anderen Ansatz. „Es geht um Lebensqualität. Wenn Patienten sich bemühen und trotzdem zunehmen, will ich ihnen helfen“, so Feige. Nie würde er allerdings einer Person mit normalem BMI, die „einfach nur schnell fünf Kilos verlieren will“, ein Rezept ausstellen, macht er klar. Die Grundpfeiler seien Bewegung und Ernährung. „Man muss auch etwas tun, die Spritze allein tut es nicht“, so Feige.

In den vergangenen Jahren gab es Lieferengpässe und Lifestyle-Kunden nahmen Diabetes-Patienten Kontingente weg. „Zum Teil mussten manche Patienten bis zu einem halben Jahr auf ihr Präparat warten. Weil die Spritzen nicht lieferbar waren, nahmen sie wieder zu. Das war dramatisch für einige“, so Stefan Feige. Längst habe sich die Lage entspannt. Während der kritischen Zeiten habe er keine Privat-Rezepte ausgestellt. „Nur Patienten, die Ozempic wirklich brauchten, haben eine Verordnung bekommen.“
Auswirkungen auf Psyche?
Auswirkungen auf die Psyche werden von Abnehmwilligen immer wieder thematisiert. Was ist dran? „Das sehe ich selten. Andere Nebenwirkungen sind viel häufiger. Manche vertragen den Wirkstoff selbst in geringen Dosen nicht und bekommen Durchfälle“, so Stefan Feige.
In Bezug auf die Psyche berichten ihm seine Patienten eher Positives. „Da sind einige, die depressiv waren, sich selbst nicht mehr mögen konnten, weil sie übergewichtig waren. Wenn die abnehmen, blühen die wieder auf“, so der Ampfinger Arzt.
Langzeitfolgen seien noch nicht erforscht, darauf weisen beide Experten hin. Niemand sollte ohne engmaschige ärztliche Betreuung einfach wild drauf los spritzen.